
Bruch mit Konventionen
Das Schauspielprogramm der Ruhrtriennale 2025
Was ist das Besonere am Schauspielprogramm der Ruhrtriennale? Wie beeinflusst die Internationalität Ästhetik, Spiel und Erzählweise und welche Möglichkeiten eröffnet das Programm für all jene, die Schauspiel in neuen Kontexten und Räumen entdecken möchten? Über diese und weitere Themen haben wir mit Teresa Bernauer, Schauspiel-Dramaturgin bei der Ruhrtriennale 2024–26, gesprochen.
Teresa, was macht das Schauspielprogramm der Ruhrtriennale so besonders?
Die Ruhrtriennale lebt von ihrer Internationalität und ihrer außergewöhnlichen Verortung: Industriekathedralen wie Zechen oder Maschinenhallen werden zu Bühnen, auf denen große, interdisziplinäre Produktionen entstehen – Werke, die im regulären Schauspielbetrieb oft keinen Platz finden würden. Die Stücke treten in einen Dialog mit ihrer Umgebung, mit der Geschichte und Architektur des Ortes. Die Künstler:innen haben hier die Möglichkeit, tief in ihre Themen einzutauchen. Das Resultat sind Arbeiten von großer künstlerischer Tiefe – mit herausragender Schauspiel- und Gesangsqualität, einer sinfonischen Verbindung unterschiedlicher Ausdrucksformen, und einer emotional aufgeladenen, sinnlichen und oft wunderschönen Auseinandersetzung mit Menschlichkeit, Bedeutung und Politik.
Inwiefern unterscheiden sich die Diskurse, Stimmen und Perspektiven internationaler Künstler:innen vom deutschsprachigen Schauspiel?
Sie unterscheiden sich oft grundlegend – weil viele der eingeladenen Künstler:innen eben nicht aus dem deutschsprachigen Kultur- und Erinnerungskontext kommen, diesen aber sehr wohl reflektieren. Daraus entsteht eine gewisse Freiheit, ein spielerischer Umgang mit Themen, die hierzulande oft schwerer wiegen. Es ist kein Zufall, dass in diesem Jahr eine belgische Gruppe über Krieg, faschistische Kontinuitäten arbeitet, ein französisch-katalanisches Kollektiv poetisch den Zerfall der Welt verhandelt, und ein polnisches Duo die Politisierung von KI mit Rückgriffen auf den Zweiten Weltkrieg thematisiert.
„Großes Schauspiel trägt sich durch seine visuelle und akustische Dramaturgie – Sprache ist dann nur ein Element unter vielen.“
Wie beeinflusst die Internationalität die Ästhetik, das Spiel und das Erzählen auf der Bühne?
Die Vielzahl an Einflüssen bringt eine große Authentizität mit sich – sei es, weil Künstler:innen aus ihren kulturellen Erfahrungen schöpfen, oder weil sie eng mit lokalen Mitwirkenden und Spezialist:innen arbeiten. Ein Beispiel ist die außergewöhnliche Zusammenarbeit von Kirill Serebrennikov mit dem georgischen Trinity State Choir [LEGENDE, 2024): eine Feier des Zusammenkommens verschiedener Herkünfte, Traditionen und musikalischer Welten. Internationale Perspektiven eröffnen neue Freiheiten im Erzählen – nicht, weil deutsches Schauspiel nicht auch mit Brüchen spielt, sondern weil hier andere Selbstverständlichkeiten herrschen: im Umgang mit Zeit, mit Collagen, Assemblagen, mit völlig unterschiedlichen Mitteln. In diesem Jahr sogar mit Zirkus – einer traditionell nomadischen Kunstform, die verschiedenste Elemente – bis hin zu Tieren – vereint.
Wie verändert sich Schauspiel, wenn man die gesprochene Sprache nicht (vollständig) versteht?
Man beginnt automatisch, andere Ebenen intensiver wahrzunehmen: Bild, Klang, Bewegung. Großes Schauspiel trägt sich durch seine visuelle und akustische Dramaturgie – Sprache ist dann nur ein Element unter vielen. Für unser kuratorisches Team ist genau das zentral. Nicht zufällig sind zwei der Schauspielproduktionen in diesem Jahr (fast) ganz ohne Sprache. Die Kraft der Bilder, besonders in diesen monumentalen Räumen, darf nicht unterschätzt werden.
„Alle drei Schauspielproduktionen in diesem Jahr brechen auf ihre Weise mit Konventionen.“
Welche Möglichkeiten eröffnet das Programm für all jene, die Schauspiel in neuen Kontexten und Räumen entdecken möchten?
Alle drei Schauspielproduktionen in diesem Jahr brechen auf ihre Weise mit Konventionen:
Oracle ist ein interdisziplinäres Spektakel, das Filmisches und Theatrales miteinander verschmilzt – intensiv, vielsprachig, aber mit einer besonderen Wucht.
Falaise überrascht durch leise Poesie, Humor und Zirkuskunst – Akrobatik und absurdes Spiel treffen hier auf tiefe menschliche Themen.
Guernica Guernica kommt ganz ohne Sprache aus – ein visuelles Großereignis mit Massenszenen, bei dem das Publikum selbst Teil des Erlebens wird, indem es sich und die Welt beobachtet.
Was hilft, um sich auf internationales Schauspiel einzulassen – auch ohne Vorkenntnisse?
Es klingt vielleicht abgedroschen, aber: Offenheit. Nicht alles muss kognitiv durchdrungen werden. Vertraue darauf, dass die Künstler:innen sich der kulturellen Unterschiede bewusst sind. Wer dennoch etwas mehr Kontext möchte, kann sich mit den dramaturgischen Einführungen, Interviews oder Materialien auf unserer Website informieren. Gleichzeitig gehört ein gewisses Maß an „sich einlassen“ und „loslassen“ zum Theatererlebnis dazu.
Was wünschst du dir, dass das Publikum nach einem Abend bei der Ruhrtriennale mit nach Hause nimmt – außer dem Programmheft?
Das Gefühl, etwas wirklich Besonderes erlebt zu haben. Dass Kunst, an einem solchen Ort, in dieser Dichte, mit so viel Können, Vorstellungskraft und Gemeinschaftsgeist, etwas in ihnen bewegt hat. Etwas, das bleibt.
Über die Autorin
Teresa Bernauer ist deutsch-portugiesische Dramaturgin und Kuratorin. Sie ist Schauspiel-Dramaturgin bei der Ruhrtriennale 2024–26. Zuvor arbeitete sie am Künstler*innenhaus Mousonturm, war Mitbegründerin vom Nocturnal Unrest Festival und koordinierte das Outreach-Projekt Places to See am MMK Frankfurt.