Britta Schünemann leitet die Dramaturgie der Ruhrtriennale und die Junge Triennale. Ein Gespräch über die Vorteile von Materialien auf der Bühne, über anarchisches Theater für junges Publikum, über die GenZ und die Nachkriegsgeneration.

Interview: Sarah Heppekausen

kultur.west: Wachsmalstifte, Farbe, Papier und bunte Klebebänder – im Theater für junges Publikum kommt in diesem Jahr auffällig viel Material zum Einsatz. Warum eignet sich das so gut im Theater für Kinder?

Britta Schünemann: Materialitäten haben durch ihre Haptik immer etwas Nahbares. Gerade für Kinder, die gerne alles erkunden, sind sie ideal für die Annäherung an Themen. In unseren zwei interaktiven Stücken für unter Sechsjährige werden die Kinder so in das Geschehen involviert. Bei Club Origami im Konzept von Takeshi Matsumoto wird das junge Publikum am Anfang selbst Papierkunstwerke falten, die in die Geschichte und das Bühnenbild integriert werden. Bei The Sticky Dance dürfen die Kinder – wenn sie möchten – auf der Bühne mit dabei sein. Dort werden mit Klebebändern Flächen abgegrenzt. Es gibt Hüpfspiele, es werden eigene Regeln festgelegt, so wie man es aus der eigenen Kindheit kennt. Die Kompanie um Rosie Heafford und Takeshi Matsumoto hat einen Fokus auf neurodivergentes Publikum gelegt, die Atmosphäre auf der Bühne ist sehr intim und geschützt. Und auch hier hat man wieder Lust, mitzumachen, weil man etwas in die Hand nehmen kann. Dadurch bekommen die Stücke eine Lebendigkeit und docken an die Lebenswelt der Kinder an.

  • Die Performer:innen Takeshi Matsumoto und Makiko Aoyama in Kostümen aus buntem Papier werfen Papierfetzen in die Luft, umgeben von verstreuten Blättern.
    Club Origami © Summer Dean
  • Kinder spielen fröhlich mit großen Papierbögen.
    Club Origami © Summer Dean
  • Die Performer:innen Takeshi Matsumoto und Makiko Aoyama sind in ein weiches Licht getaucht, halten gefaltete Papierfiguren über einem beleuchteten Kasten und lächeln.
    Club Origami © Summer Dean
  • Eine Performerin interagiert mit einem kleinen Kind, während andere Kinder im Hintergrund spielen. Der Boden ist mit bunten Linien markiert.
    The Sticky Dance © Zoe Manders
  • Ein Kind und eine weibliche Person schauen fasziniert auf ein leuchtendes Objekt hinter grünem Band, während die Szene in pink-violettem Licht beleuchtet ist.
    The Sticky Dance © Zoe Manders
  • Eine Person ist umgeben von bunten, bandartigen Fransen, die sich während einer Drehung weit ausbreiten.
    The Sticky Dance © Foteini Christofilopoulou
  • „Als ich WASCO! in Belgien gesehen habe, wollte ich sofort mit auf die Bühne.“
    Britta Schünemann

    Bei WASCO! von Voetvolk tanzen 7 bis 13-Jährige mit Wachsmalstiften und Farbeimern, sie kreieren eigenständig ein Gemälde und schleudern sich dafür sogar gegenseitig als Pinsel über die Bühne.

    Ich bin ein großer Fan dieser Inszenierung. Als ich sie in Belgien gesehen habe, wollte ich sofort mit auf die Bühne. Es geht rasend schnell – Wusch! – man wird direkt reingezogen in diese Inszenierung.

    Die Kompanie um die Choreografin Lisbeth Gruwez und den Musiker Maarten Van Cauwenberghe stammt aus Belgien. Überhaupt kommt viel experimentier- und risikofreudiges, auch anarchisches Theater für junges Publikum aus den Benelux-Ländern, auch aus Skandinavien. Sind die Theatermachenden in diesen Ländern mutiger?

    Das Tanztheaterstück WASCO! ist eines der besten Beispiele dafür, denn man sieht dort die Selbstwirksamkeit der Kinder auf der Bühne. Die Choreograf.innen haben gemeinsam mit den Kindern das Bewegungsvokabular erarbeitet, nichts ist von oben übergestülpt. Wenn der jüngste Darsteller sich wie selbstverständlich zur Free-Jazz-Musik bewegt, kommen einem die Tränen. Auf der Bühne ist kein Erwachsener, die Kinder agieren selbstbestimmt. Das ist sehr faszinierend. Ein Schlüssel liegt sicherlich im Kunstverständnis: Kinder werden nicht als eine Vorstufe zum Erwachsensein wahrgenommen, sondern als vollwertige Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Sichtweisen – auf der Bühne und im Publikum. Daraus entsteht das Anarchische und Risikofreudige.

  • Ein Kind mit lockigem Haar und einer hellen Latzhose mit Farbflecken hebt einen Arm mit einem Pinsel in die Luft. Im Hintergrund sind weitere Kinder in ähnlicher Kleidung auf einer Bühne zu sehen.
    WASCO! © Danny Willems
  • Eine Gruppe von Kindern in bemalten Schutzanzügen umgeben ein anderes Kind, das selbstbewusst auf einem Podest steht. Die Kinder haben spielerische und herausfordernde Gesichtsausdrücke.
    WASCO! © Danny Willems
  • Ein Kind kniet auf einer bemalten Bodenfläche und verteilt mit den Händen grüne Farbe auf der Leinwand. Der Untergrund ist bereits mit gelben, blauen und roten Spuren bedeckt.
    WASCO! © Danny Willems
  • „Entstehen wird etwas Innovatives und Experimentelles, das von der Genese dieses Industrieortes ausgeht und so wahrscheinlich nur bei der Ruhrtriennale möglich ist.“
    Britta Schünemann über die Produktion „GenZ Don’t Cry“

    Auch bei Ihrer Uraufführung GenZ Don’t Cry performen Jugendliche selbst auf der Bühne. Das Sounddramaturgien-Kollektiv, der Autor Mehdi Moradpour und der Bühnenbildner und Co-Regisseur Wolfgang Menardi entwickeln mit ihnen ein immersives 3D-Soundtheater über die Generation Z. Wie ist die Idee zu diesem Thema und zu diesem Format entstanden?

    Unser Jugendmusiktheaterprojekt GenZ Don’t Cry dockt an die Inszenierung We Are The Lucky Ones aus der Sparte Musiktheater an. Diese Koproduktion der Dutch National Opera und der Ruhrtriennale basiert auf etwa 70 bis 80 Interviews mit Menschen aus Europa, die zwischen 1940 und 1949 geboren wurden. Aus diesen Passagen aus deren alltäglichem Leben ist das Libretto entstanden. Auch bei GenZ Don’t Cry haben wir Interviews geführt, und zwar mit jungen Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind. Wir haben mit Schulklassen aus Duisburg gesprochen und mit Menschen in ihren 20-ern. Zehn Jugendliche aus dem Ruhrgebiet werden auch auf der Bühne performen und sind in den Schreibprozess miteinbezogen, sie geben Feedback oder nennen Inspirationen, Songtitel usw. Mit Gîn Bali haben wir eine tolle Musikerin und DJ, die die Musik für den Abend kreieren wird und selbst auch Pädagogin ist. Das Sounddramaturgien-Kollektiv arbeitet sehr experimentell. Ausgehend von der Beobachtung, dass Kopfhörer mittlerweile integraler Bestandteil unseres Alltags sind, verwenden sie ein binaurales Mikrofon auch auf der Bühne. Wir hören immersiv das, was die Ohren dieses Mikrofonträgers hören. Sound kann dann vieles sein, auch etwa die Kostüme von Julia Nussbaumer. Ich glaube, das wird richtig krass.

    Die Inszenierung findet in der Turbinenhalle an der Bochumer Jahrhunderthalle statt. Wie die meisten Spielorte der Ruhrtriennale ein Ort mit sichtbarer Geschichte. Dort sind zum Beispiel noch zwei historische Turbinen zu sehen.

    In dieser Produktion arbeiten wir tatsächlich sehr raumspezifisch, die Turbinenhalle ist integraler Bestandteil im Bühnenbild von Wolfgang Menardi. Entstehen wird etwas Innovatives und Experimentelles, das von der Genese dieses Industrieortes ausgeht und so wahrscheinlich nur bei der Ruhrtriennale möglich ist. Raum und Sound ergeben eine ganz neue Verbindung.

    Eine dystopisch anmutende, in Nebel getauchte Szenerie in der Turbinenhalle Bochum.
    © Wolfgang Menardi

    In GenZ Don’t Cry hören wir von den heute 15- bis 30-Jährigen. In We Are The Lucky Ones von der Nachkriegsgeneration. Was erfahren wir denn?

    Beiden Generationen werden in gesellschaftlichen Debatten viele Klischees zugeschrieben. Denen ging es gut, sie haben den Reichtum abgegrast, heißt es über die Nachkriegsgeneration. Ihr seid faul, so woke, ihr klebt euch auf den Straßen fest über die GenZ. Was man immer wieder aus dem Blick verliert, ist, unter welchen Bedingungen die Generationen heranwachsen. We Are The Lucky Ones spannt einen Bogen und gibt einen fast kaleidoskopartigen Überblick über acht Jahrzehnte. Wir hören und sehen Stationen eines Lebens, ausgefüllt mit persönlichen Inhalten. Da sind ganz berührende Momente dabei. Bei GenZ Don’t Cry haben wir ebenfalls sehr offene, allgemeine Fragen gestellt: Empfindest du dich als Teil einer Generation? Wie blickst du auf sie? Wo hebt die GenZ sich ab von anderen Generationen? Und was nervt dich an deiner Generation? Außerdem geht es um Wünsche, Träume für die Zukunft und um Ängste. Aber es ist kein dokumentarisches Theater. Es wird ein künstlerisches Setting. So werden wir zwei Stücke über zwei komplett unterschiedliche Generationen haben.

    Das Interview erscheint in der Kultur.West als Teil des Ruhrtriennale Specials 2025. Hier kannst du das Magazin in voller Länge lesen: www.kulturwest.de/specials/ruhrtriennale-2025

    Autor: Sarah Heppekausen | 7.7.2025