
The power of the moving body
Das Tanzprogramm der Ruhrtriennale 2025
Anita van Dolen ist seit 2024 Kuratorin für Tanz bei der Ruhrtriennale. In unseren Festival Stories verrät sie uns, welche Rolle zeitgenössischer Tanz im Gesamtprogramm der Ruhrtriennale 2025 spielt, welche Aspekte ihr bei der Auswahl der Produktionen wichtig sind und was sie all jenen rät, die bisher keinen Zugang zu zeitgenössischem Tanz gefunden haben.
Was bedeutet zeitgenössischer Tanz für dich persönlich – und welche Rolle spielt er im Gesamtkonzept der Ruhrtriennale?
Tanz ist die Art von Kunst, die mich am meisten bewegt. Seine abstrakte Natur ermöglicht eine persönliche Interpretation. Er ermöglicht es, in den eigenen Gedanken zu reisen und andere Perspektiven zu entdecken. Die Kraft des sich bewegenden Körpers liegt in seiner Fähigkeit, Gefühle auf eine Weise auszudrücken, die Worte nicht fassen können. Tanz hat wie Musik die Kraft, uns direkt im Herzen zu berühren. Außerdem ist der menschliche Körper an sich schon ein Wunder. Ich finde Künstler:innen faszinierend, die den Körper nutzen, um eine universelle Sprache zu entwickeln. Ich gehe von einer breiten Definition dessen aus, was Tanz ist und sein kann. Die Verwendung von Raum, Zeit, Rhythmus und Bewegung findet sich in vielen interdisziplinären Projekten wieder. Der monumentale und nonverbale Charakter des Tanzes wird noch ausdrucksstärker, wenn er sich mit anderen Kunstformen wie Live-Musik, bildender Kunst und Theater verbindet. Das macht den Tanz zu einer unverzichtbaren Kunstform im Programm der Ruhrtriennale.
„Wir suchen nach Aufführungen, die ein Gleichgewicht zwischen dem Schönen und dem Unkonventionellen herstellen.“
Welche kuratorischen Leitfragen oder Überlegungen standen für dich im Mittelpunkt, als du das Tanzprogramm für 2025 zusammengestellt hast?
„Sehnsucht nach morgen“ ist auch Ausgangspunkt für die Kuration der Tanzperformances der Ruhrtriennale. Tanz als Sprache, um aktuelle Themen und die Zeit, in der wir leben, zu reflektieren. Wir arbeiten mit Choreograf:innen zusammen, die eine eigene Sprache schaffen, Grenzen überschreiten und unterschiedliche Tanzstile und Traditionen zusammenführen. Es sind Choreograf:innen, die nicht nur schöne Bilder erzeugen, sondern den Körper auch zur Vermittlung von Themen verwenden, die ihnen wichtig sind. Wir suchen nach Aufführungen, die ein Gleichgewicht zwischen dem Schönen und dem Unkonventionellen herstellen.
Wie gehst du bei der Auswahl von Produktionen vor? Gibt es Kriterien, die dir besonders wichtig sind – etwa in Bezug auf Körperbilder, Narrative oder Interdisziplinarität?
Um ein Fenster zur Welt und einen Blick in die Zukunft zu schaffen, sind wir auf der Suche nach Tanzproduktionen, die vielfältige Elemente zusammenbringen. Menschlichkeit, Geschichte, Traditionen und alle Arten von Kunstformen. Die Migration verändert beispielsweise die Demografie, da jeder sein eigenes kulturelles und historisches Gepäck mitbringt. Der Körper ist das perfekte Medium, um all diese Einflüsse einzubeziehen. Wir suchen Performances, die uns einladen, andere Interpretationen der schönen und doch komplizierten Welt zu erforschen und vielleicht neue Formen des Zusammenlebens und der Interaktion mit der Welt anzusprechen.
„Manchmal denken die Menschen, Tanz sei eine schwer zu greifende Kunstform. Aber man muss wirklich nichts über Tanz wissen, um von ihm bewegt zu werden.“
Welche ästhetischen oder thematischen Tendenzen im zeitgenössischen Tanz spiegeln sich im diesjährigen Programm besonders deutlich wider?
Alle Tanzproduktionen sind Ausdruck der zuvor beschriebenen Prinzipien. Sie sind einzigartig und unterschiedlich. Ihnen allen gemein ist, dass sie von großer Schönheit, Virtuosität und Musikalität geprägt sind. Gleichzeitig reflektieren sie die Art und Weise, wie sich der Mensch in der Welt bewegt – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Themen wie menschliches Verhalten, Beziehungen, Machtdynamiken, die Auswirkungen der Kolonialisierung, vergessene Traditionen, Rituale und Minderheiten sind Themen, die wir auf die Bühne bringen.
Manche Menschen sind unsicher, wie sie zeitgenössischen Tanz verstehen sollen. Was würdest du ihnen raten?
Manchmal denken die Menschen, Tanz sei eine schwer zu greifende Kunstform. Aber man muss wirklich nichts über Tanz wissen, um von ihm bewegt zu werden. Die abstrakte Natur des Tanzes erlaubt es, seine eigene Geschichte zu erschaffen und ihr seine eigene Bedeutung zu geben. Wenn ich einen Rat geben könnte, würde ich sagen: Lasst eure vorgefertigten Meinungen los, lasst die Aufführung auf euch wirken und schaut, was passiert.
Über die Autorin
Anita van Dolen ist Tanzkuratorin bei der Ruhrtriennale. Die großen Festivals sind ihr Zuhause: Neben ihrer Arbeit bei der Ruhrtriennale ist sie die künstlerische Leitung des Julidans (International Festival for Contemporary Dance) in Amsterdam. Außerdem leitet sie das Tanzprogramm des International Theater Amsterdam und verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit Ivo van Hove. Bei der Ruhrtriennale findet sie Schnittstellen zwischen den großen gesellschaftlichen Themen und atemberaubenden körperlichen Ausdrucksformen. Ihre Leidenschaft für den Tanz als Ausdrucksform vielschichtiger Haltungen und Gefühle ist hochgradig ansteckend.