
Gen Z macht Zukunft
Ruhrpott für Europa bei der Ruhrtriennale 2025
Die überparteiliche Initiative Ruhrpott für Europa (RfE) ist in dieser Spielzeit mit zwei Formaten bei der Ruhrtriennale am Start. Jan Bednorz aus der Dramaturgie hat Milad Tabesch und Julia Ochwat zum Interview getroffen und mit ihnen über vergangene, gegenwärtige und zukünftige Projekte von RfE gesprochen.
Jan: Liebe Julia, lieber Milad, im Ruhrgebiet seid ihr mit RfE bei vielen – insbesondere jungen Menschen – gut bekannt. Für diejenigen, die RfE noch nicht kennen: Was macht ihr und wer gehört zu eurem Team?
Milad: Wir sind ein überparteiliches Forum von jungen Menschen für junge Menschen. Wir sind vor zwei Jahren als Idee an den Start gegangen, inspiriert durch das damals neu eingeführte Wahlrecht ab sechzehn bei der Europawahl 2024. Bei der vorherigen Landtagswahl 2022 hatte die Gruppe der 18- bis 20-Jährigen die niedrigste Wahlbeteiligung. Und das wollten wir ändern. Daher haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die jungen Wähler:innen – insbesondere mit Blick auf die Europawahl – zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Die Aussicht auf die Europawahl und die damals sehr geringe Wahlbeteiligung junger Menschen waren also die Zutaten für die Gründung von RfE.
„Wir wollen, dass die politische Öffentlichkeit den jungen Stimmen mehr Gewicht und Mitspracherecht einräumt.“
Das, was wir machen, ist in drei Säulen gut abzutrennen. Erstens Schulbesuche im Ruhrgebiet, um so viele wie möglich zu erreichen. Auch die Jugendlichen, die freiwillig nicht zu unseren Events kommen würden. Gerade mit denen wollen wir über europapolitische Themen diskutieren. Die zweite Säule ist ein Gesprächsformat, das wir im gesamten Ruhrgebiet anbieten, in verschiedenen Cafés. Wir nennen dieses Format „Auf einen Çay mit…“. Dort stellen wir uns den Fragen, die wir in den Schulklassen nicht beantworten können. Wir laden hochkarätige Expert:innen ein und übertragen die Themen aus den Klassenzimmern in ein kleines Podcast-Studio-Setting. Das Ganze wird auf YouTube und als Audio-Podcast auf Spotify hochgeladen.
Die dritte Säule ist unsere Advocacy-Arbeit, bei der wir versuchen, über die Schulklassen und über die Cafés hinaus Menschen zu erreichen. Zum Beispiel über Social Media, auf Instagram und auf TikTok. In diese Arbeit reiht sich unsere Junge Ruhrpott Agenda ein – ein Magazin, das wir im August herausgeben werden. Dort bilden wir die Forderungen und Perspektiven junger Menschen für die Kommunalwahlen ab. Wir wollen, dass die politische Öffentlichkeit den jungen Stimmen mehr Gewicht und Mitspracherecht einräumt.
Julia: Wir sind aktuell fünf Leute, die im Core-Team für RfE arbeiten. Hinzu kommen 15 bis 20 Volunteers. Die Volunteers machen die Workshops, moderieren „Auf einen Çay mit…“-Gespräche helfen bei der Jungen Ruhrpott Agenda, drehen Vlogs und vieles mehr. Die Volunteers sind das Herzstück von RfE und quer im ganzen Ruhrgebiet verteilt. Von Hagen bis Duisburg – es gibt überall ein bisschen RfE. Besonders schön ist, dass wir alle so unterschiedlich sind. RfE besteht aus Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten und Hintergründen.
Jan: Ihr arbeitet durchweg mit jungen Menschen – der vielbesprochenen „Gen Z“, der man viele Klischees unterstellt. Wie groß ist das Interesse der jüngeren Generation an Politik?
Milad: Die „Gen Z“, unsere Generation, ist super interessiert an politischen Themen. Das schwingt immer in unseren Köpfen mit. Allein die Tatsache, dass wir eine Generation sind, die von den Fluten in Texas in gleicher Geschwindigkeit erfahren, wie von der anstehenden Papstwahl. Parallel die politischen Themen vor Ort. All das in Gleichzeitigkeit zu Kriegen in Nahost oder in der Ukraine. Uns als Generation vorzuhalten, dass wir unpolitisch oder weniger an Politik interessiert seien, ist ein großes Missverständnis. Vielleicht schirmt man sich bei der Gleichzeitigkeit der multiplen Krisen manchmal etwas ab oder versucht nur selektiv wahrzunehmen oder selektiv etwas an sich ranzulassen.
In der politischen Arbeit mit den Jugendlichen versuche ich unsere Initiative auch mit meiner Biografie zu verknüpfen. Wenn es um die Themen geht, die uns wichtig sind, versuchen wir bei RfE über Alltagsbeispiele nah an der Lebensrealität der Jugendlichen anzuknüpfen. Und wenn wir uns dann Rezepte gegen einen zum Beispiel chauvinistischen Nationalismus anschauen – Solidarität, Multilateralismus, Zusammenarbeit, das Hinwegschauen über nationale Interessen, for the greater good – dann stoßen wir gemeinsam schnell auf die Quintessenz der europäischen Idee. Das erweckt das Interesse der Jugendlichen.
Julia: Das ist, im allerpositivsten Sinne, was wir machen: mit den Leuten ins Quatschen kommen, ins Reden über Alltagsdinge. Und in den Gesprächen merkt man, wie viel davon eigentlich politisch ist.
„Man muss über all das reden, woran Europa gerade scheitert.“
Jan: In den Köpfen der Teens baut ihr eine wichtige Brücke zwischen dem abstrakten „Politischen“ und dem alltäglichen Leben – insbesondere von Teens mit Migrationsgeschichte. Ich finde wichtig, dass ihr euch den europäischen Idealen in der lebensweltlichen Realität annehmt und einen reality check der Europäischen Utopie unternehmt. Wie begegnet ihr den Menschen, die sich von der EU zurückgelassen fühlen?
Julia: Jeder und jede bei uns im Team hat eine andere Herangehensweise. Und trotzdem haben wir einen Wertekompass als Organisation festgelegt, der aufzeichnet, wofür wir stehen. Unsere Werte versuchen wir auch in den Klassen durchzusetzen. Wenn berechtigte Kritik an der EU kommt, dann ist es wichtig, sie zu reflektieren. Wir haben nicht die rosa-rote Brille auf, wenn es um Europa geht.
Milad: Natürlich üben wir auch Kritik an der EU. Zum Beispiel mit Blick auf den aktuellen Umgang mit autoritären Kräften. Was Julia sagt, ist sehr wichtig für unsere Arbeit. Insbesondere mit Blick auf unsere Entstehungsgeschichte. Wir sind schließlich keine Lobby Organisation der EU-Kommission. Wir wollen so unabhängig wie möglich sein, auch um darüber zu sprechen, was in der EU weniger gut läuft. Man muss über all das reden, woran Europa gerade scheitert. Nur dann können wir aufrichtig darüber nachdenken, wie es besser werden kann. Das war und bleibt eine der Kernaufgaben von RfE.
Individuen hinter der Statistik: Die Junge Ruhrpott Agenda von RfE
Jan: Aktuell entsteht ein Magazin, in dem ihr euch junge Perspektiven auf die anstehenden Kommunalwahlen vornehmt – die Junge Ruhrpott Agenda. Ihr führt Interviews mit Menschen zwischen 16 und 21 Jahren. Wie genau geht ihr vor?
Julia: Wir haben versucht, ein möglichst authentisches Bild der Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet abzubilden. Es war uns besonders wichtig, nicht nur Menschen zu interviewen, die das politische Interesse bereits in ihrem Lebenslauf haben. Wir haben die Teens über einen Aufruf bei Instagram und über weite Bekanntenkreise gefunden. Die Gespräche haben wir mit Teens aus dem gesamten Ruhrgebiet geführt. Alle haben einen anderen Background. Die Gespräche sind entsprechend unterschiedlich ausgefallen.
Jan: Was waren die kommunalen Themen, die die Jugendlichen besonders interessieren?
Julia: Der Wunsch nach Begegnungsorten und Zusammenhalt war besonders groß. Viele junge Menschen wünschen sich mehr Orte, an denen man was erleben kann: Angebote zum Austausch. Im Ruhrgebiet gibt es bei den Jugendlichen den starken Wunsch nach einem Austausch zwischen den Städten – und einem ÖPNV, der abends noch eine Verbindung ermöglicht.
„Es wird ein Mix aus den repräsentativen Zahlen und dem Deep Dive in das Leben der Einzelnen.“
Grundsätzlich gab es den Wunsch nach direktdemokratischer Teilhabe. Mit einer Person habe ich viel darüber geredet, dass sie sich wünschen würde, dass die ältere Generation beim Wählen mehr über die jüngere Generation nachdenkt.
Milad: Die Porträts und politischen Forderungen junger Menschen werden in der Jungen Ruhrpott Agenda gemeinsam mit einer quantitativen Civey-Studie herausgegeben und veröffentlicht. Das sind sehr spannende Zahlen. Für mich sind die Ergebnisse auch eine Warnung. Unsere Junge Ruhrpott Agenda wird also die individuellen Porträts der Teens dem empirischen Gewicht der Civey-Studie gegenüberstellen. Es wird ein Mix aus den repräsentativen Zahlen und dem Deep Dive in das Leben der Einzelnen.
RfE bei der Ruhrtriennale 2025
Jan: Ihr verbindet also die quantitative Studie mit den persönlichen Eindrücken aus euren Umfragen. Was für eine super Idee, um allgemeine und individuelle Einblicke in die politische Existenz junger Leute abzubilden.
RfE wird gleich zweimal bei der Ruhrtriennale vertreten sein. Bei unserer Reihe Spoken Acts seid ihr mit eurem Format „Auf einen Çay mit…“ zu Gast. Was macht dieses Format für euch aus? Habt ihr Highlights?
Milad: Mein Highlight war eine „Çay“-Folge, die eigentlich ganz anders geplant war. Das war Folge acht. Am gleichen Tag kam die Absage von einem sehr renommierten Gast. Wir hatten zwei Stunden Zeit, alles umzuplanen. Statt diesem Gast haben dann drei junge Gelsenkirchener GenZler:innen über die Bundestagswahl gesprochen. Das ist einer der aufrufsstärksten „Çays“auf YouTube. Ganz ohne externen Guest. Das hat uns vor Augen geführt: Es sind nicht die einflussreichen Influencer:innen, die unsere „Çays“ausmachen, sondern die Jugendlichen, die ihre Erfahrungen und Haltungen in unseren Räumen teilen. Das Spektrum von totaler Niedergeschlagenheit bis zum Gefühl größter Euphorie durch das Empowerment dieser Jugendlichen – das fasst diesen „Çay“ für mich zusammen.
Julia: Für mich ist das Highlight eines jeden „Çays“, dass so viele unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Wir verbinden die Speaker:innen mit dem Publikum. Ganz oft bilden sich Synergien zwischen den Leuten, die teilnehmen. Wir schaffen Zusammenhalt und Freundschaft. Da gibt es schon einige Geschichten. Für mich sind daher ebenfalls nicht die Gäste im Fokus, sondern die jungen Erwachsenen, die dabei sind.
Milad: Bei uns gibt es immer eine andere Moderation. Es ist immer ein anderes freiwilliges Team, dass das Projekt on stage und backstage realisiert. Man arbeitet miteinander und wird nicht von einem cholerischen Chef kommandiert. Neben diesem Tag kommt ein cooles Produkt heraus, dass die jungen Erwachsenen auf die Beine gestellt haben.
Jan: Das klingt nach einem sehr fehlerfreundlichen Experimentierraum. Für mich vermittelt sich, dass euer Konzept einige Fans hat. Leute, die ihr mitnehmt, die immer wiederkehren und die sich im Publikum miteinander verbinden. Und ganz viele Zuhörer:innen sind später noch online dabei. Habt ihr schon Pläne für den 12.9.?
Milad: Am 12.9. sind wir mit diesem Format bei euch zu Gast. Wir werden an dem Tag eine Brücke zur Jungen Ruhrpott Agenda bauen und die Ergebnisse unserer Umfrage besprechen. Mit einem besonderen Gast.
Jan: Außerdem seid ihr mit eurem Workshop „Europa in vier Ecken“ bei den Do-It-Yourself-Saturdays am Start. Was genau erwartet uns da?
Milad: Am 6. September laden wir dazu ein, in einem geschützten Raum mit uns gemeinsam über Europa zu diskutieren. Wer gerne Meinungen teilt und gerne zuhört, also Demokratie in reinster Form leben und praktizieren möchte, der ist bei uns gut aufgehoben. Wir schauen uns neben Europa die Junge Ruhrpott Agenda an und heben ein paar Key-Takeaways hervor.
Jan: Last but not least: Wenn junge Menschen aus dem Ruhrgebiet Lust haben, bei euch mitzuwirken, wie kann man euch erreichen?
Milad: Im Herbst wird es wieder den Open Call für junge Leute geben, sich bei RfE zu beteiligen. Der beste Weg, die Ausschreibung nicht zu verpassen, ist, den Glück auf Europa-Newsletter zu abonnieren. Wem der Newsletter zu lästig ist, der kann uns auf Social Media folgen. Mit Blick auf das nächste Jahr werden wir einen spannenden neuen Fokus setzen: Einsamkeit junger Menschen und die damit einhergehende Bedeutung für unsere Demokratie. Dafür brauchen wir junge Menschen, die anpacken.
Jan: Danke euch beiden! Wir freuen uns sehr auf euch!