
Listening to music in a new way
Concert programme combining high culture, pop and industrial halls
Anna Chernomordik ist Musik-Dramaturgin der Ruhrtriennale. In unserer Festival Story spricht sie über das Konzertprogramm 2025: welche Begegnungen zwischen Hoch- und Popkultur darin stecken, wie die besonderen Spielstätten das Hören verändern und warum Offenheit der wichtigste Schlüssel für ein intensives Musikerlebnis ist.
Was war der Ausgangspunkt bei der Entwicklung des diesjährigen Ruhrtriennale-Konzertprogramms – und was zeichnet es inhaltlich und atmosphärisch aus?
Was schreibt eine Rock-Legende für Orgel? Was macht eine Oscar-prämierte Filmmusikkomponistin mit einer Band aus selbstgebastelten Instrumenten? Warum hat ein berühmter Pop-Musiker eine unbändige Passion für analoge Synthesizer? Wir haben in diesem Jahr oft Künstler:innen zu Gast, die das große 1x1 der „Hochkultur“ beherrschen, aber genauso in der so genannten Popkultur erfolgreich sind. Von dort aus erkunden sie das Abseitige – und holen Menschen ganz unterschiedlicher Erfahrungshorizonte ab, von neugierigen Entdecker:innen bis zu jenen, die ihre musikalischen Klassiker nie aus den Augen – oder Ohren – verlieren.
Welche Rolle spielen Raum, Architektur oder akustische Besonderheiten bei der Programmgestaltung für die Ruhrtriennale?
Die Industriehallen mit all ihren akustischen Eigenheiten sind Teil der Ruhrtriennale-DNA. Sie fordern heraus und setzen ästhetische Zeichen. Rave-Kultur entstand in solchen Hallen, aber auch Komponisten wie Maurice Ravel ließen sich von Industrielandschaften inspirieren. Die Turbinen- und Maschinenhalle sind nicht für das Kunsterleben gebaut worden. Es sind Arbeitsräume und in ihren gigantischen Dimensionen fühlt man sich winzig – ähnlich wie in einem Gotteshaus. Nicht umsonst werden die Hallen der Ruhrtriennale oft als Kathedralen der Industriekultur bezeichnet. Dieses „Sich in den Dienst der Kunst stellen“ auch seitens des Publikums, macht das Erlebnis durchaus intensiver, weil es einer gemeinsamen Anstrengung bedarf.
Wie verändert sich unsere Wahrnehmung von Musik, wenn sie uns im Raum umgibt oder sich durch die Architektur trägt?
Sie wird körperlicher. Vielleicht weil genaues Zuhören heute schwerer fällt, hilft dieses besondere Setting, bewusster wahrzunehmen.
Inwiefern fordert das Musikprogramm eingeübte Hörgewohnheiten heraus – und warum ist das spannend?
Ungewöhnlich ist z. B. der Stilmix, wie bei Rave-L Party, oder die Dauer und Entwicklung eines Stückes wie bei 124 Years of Reverb. Dieses Stück ist aber auch für die beiden Organist:innen so ungewohnt, dass sie ihre überanstrengten Hände zwischenzeitlich in Eiswasser abkühlen müssen. OSMIUM, die Supergroup um die Filmmusikkomponistin Hildur Gudnadottir, hat sich improvisierend von Songstrukturen gelöst, aber ein durchgehender Rhythmus gibt Hilfestellung, um sich in der Musik zurechtzufinden. Besonders spannend werden aber auch die Relaxed Performances: Dort sollen möglichst viele unsichtbare Schranken fallen. Alle Reaktionen sind zunächst akzeptiert – vor allem zugunsten jener, die ohne diese Freiheit gar kein Konzert besuchen könnten.
„Offenheit ist ein Muskel, der trainiert werden will. So ein Festival macht dieses Training glücklicherweise leichter.“
Was hilft deiner Meinung nach, wenn sich jemand auf Musikformen einlassen will, die man vielleicht noch nie live gehört hat?
Ich bin selbst mit vielen musikalischen Schranken im Kopf aufgewachsen. Wenn man ein klassisches Instrument lernt, zielt die Ausbildung auch heute noch oft darauf ab, zu vermitteln, dass man Musik unterteilen kann in falsch und richtig, echt und unecht, wertvoll und wertlos. Aber Offenheit ist ein Muskel, der trainiert werden will. So ein Festival macht dieses Training glücklicherweise leichter. Man kann nicht nur direkt mehrere Veranstaltungen besuchen, es lohnt sich auch, sich für die Spielstätten ein bisschen mehr Zeit zu nehmen, die manchmal abseitig wirkenden Wege dorthin bewusst zu gehen und – das ist zumindest in Bochum gut möglich – sich einfach draußen hinzusetzen und die Atmosphäre im Festivalzentrum zu genießen. Es gibt in diesem Jahr ein großzügiges Umsonst-und-Draußen-Programm, das vor und nach den Vorstellungen zum Verweilen einlädt, auch wenn man ohne Begleitung da ist (große Empfehlung!). Ansonsten gilt wie bei jedem Live-Erlebnis: Handy aus und den Ausnahmezustand genießen.
Was wünschst du dir, dass Besucher:innen nach einem Konzert der Ruhrtriennale mit nach Hause nehmen?
Dass das Erlebte nachhallt – im besten Sinne des Wortes. David Lang hat einmal gesagt, er sei glücklich, wenn die Menschen Wochen oder Monate später plötzlich denken: „Ich hab’s jetzt verstanden!“ oder auch: „Ich bin völlig anderer Meinung!“ Dann haben wir alles richtig gemacht.