
Seht, was der Krieg ist!
Mit Pablo Picassos Gemälde und Bildern über den Krieg beschäftigt sich das Theaterkollektiv FC Bergman in Guernica Guernica.
Text: Andreas Wilink
Manchmal bleibt nur ein Bild und brennt sich tiefer ein als das Geschehen selbst. Derart ikonisch ist das Guernica-Gemälde von 1937 in seinem Schreckensfuror, das erstmals auf der Weltausstellung in Paris gezeigt wurde und sich seit 1992 im Madrider Museo Reina Sofía befindet. Es versammelt Motive Picassos und zwingt sie zusammen zum bildnerischen Lamento: den virilen Stier, den wir aus der Minotauromachie des spanischen Stierkampf-Aficionado kennen; das bis zur Todesqual gemarterte Pferd, das die Corrida zitiert; den Schmerz der Kreatur und des Menschen, vielmehr: der Menschheit – Profile schreiender Gesichter, fragmentarisierte Körper, geköpfte Leiber, dazwischen züngelnde Flammen und darüber das Auge Gottes, maskiert als Deckenleuchte. Picassos Allegorie rekurriert auf christliche Symbolik, Apokalypse und Passion, überhaupt auf die Kunstgeschichte und den Sowjetischen Revolutionsfilm. Das Panik-Panorama im Format 3,50 x 7,80 Meter reagiert auf die Terror-Bomben der Franco-Faschisten auf die baskische Stadt Guernica, ausgeführt von Hitlers Legion Condor und Truppen des Duce. Die Dynamik und Energie, die narrative Gegenständlichkeit und krasse Gegen-Gegenständlichkeit in ihrer dramatischen Intensität ist selbst bühnenhaft und ruft geradezu nach der Bühne. Der Schriftsteller Michel Leiris nannte das Werk eine „Todesanzeige“. Diese wird nun vom Theaterkollektiv FC Bergman fortgeschrieben, das seinen Namen von dem großen schwedischen Regisseur herleitet.
2007 u. a. von Stef Aerts, Joé Agemans, Thomas Verstraeten und Marie Vinck gegründet und seit langem dem Toneelhuis Antwerpen zugehörig, sind ihre Performances fantasievoll, bildmächtig, eindringlich und sehr besonders. Immer findet eine Transformation statt: in einen wortlosen, musikalischen, visuell aufgeladenen Kunstraum und der Bewegung in ihm. Guernica Guernica untersucht Bilder der Gewalt und denkt nach über den Krieg, wie sich sein Image bildet und ein Narrativ dazu erfindet und – in Umkehrung – der Krieg der Bilder zur Waffe wird. Dabei können Bilder ebenso sehr Distanz herstellen wie Empathie hervorrufen. Das, was bei Aby Warburg Pathosformeln heißt und einen dem Kollektiv zugänglichen emotionalen Ausdruck repräsentiert, nennen Stef Aerts und Marie Vinck „Archetypen“, die sich bei ihnen auch über die szenografische Gestalt kreieren.
Zentrales Element von FC Bergman ist der Austausch zwischen dem Gegenstand der Performance, den Künstler:innen und den Zuschauenden in ihrem Reagieren. Diese „Kontaktstelle“, wie Aerts und Vinck sagen, sei ihnen für die „Konfrontation“ mit Picassos Opus wesentlich. Als sie es live in Madrid sahen, sei es ihnen „wie ein alter Freund“ erschienen, so genau kannten sie es aus Abbildungen und Ausdeutungen und zudem dokumentiert in Fotos vom damaligen Bombardement.
Aerts und Vinck stimmen zu, dass sich ihre Bühnenarbeiten als schlimme und dunkle Märchen des Realen bezeichnen lassen, deren suggestiver Poesie eine agitatorische Absicht ganz fremd ist. Wiederkehrende Motive sind Gewalt, die Agonie der Kreatur, die „Sabotage“ von Leben durch den Menschen und das Wirken von Kontrollmechanismen. In der fabulösen Arbeit The Sheep Song etwa sehen wir ein Schaf, in dessen Vlies ein Schauspieler steckt, das bis zur erzwungenen operativen Metamorphose am eigenen Leib erfährt, was es mit der Natur des Menschen in seinem zerstörerisch inhumanen Wesen auf sich hat. So werden Grundfragen der Existenz berührt. Und wir blicken mit produktivem Befremden und beschämt auf die Welt, die FC Bergman uns vorführt.
Der Beitrag erscheint in der Kultur.West als Teil des Ruhrtriennale Specials 2025.