Das Gespräch führte Deniz Bolat, Dramaturg für Outreach bei der Ruhrtriennale.


Deniz Bolat: In deiner Musik verbindest du psychedelischen Rock mit traditionellen türkischen Klängen. Was hat dich zu dieser einzigartigen Mischung bewegt? Wo liegen deine musikalischen Wurzeln, und wie bist du zu diesem speziellen Stil gekommen?

Gaye Su Akyol: Dort, wo ich großgeworden bin, gab es klassische türkische und Folkloremusik, Rock und seine Spielarten und auch Jazz, alles nebeneinander. Am Anfang meiner Karriere standen all diese Einflüsse, Musik aus Anatolien, Rock ‘n’ Roll, die Dichter:innen, Schriftsteller:innen, die Philosophie, Mythologie, Science-Fiction und sonstige Ideen, die mich inspiriert haben – und herausgekommen ist diese Musik Ich habe das alles aufeinanderprallen und kollidieren lassen und schließlich etwas entwickelt, das sich authentisch und ehrlich anfühlt. Als ich ganz jung war und mit der Musik und dem Singen anfing, kamen all diese Stimmen aus mir heraus. Die Mischung stellte sich von selbst her – nicht als Formel, sondern als Spiegel meiner inneren Persönlichkeit. So baue ich mir mein eigenes musikalisches Universum, aus Metaphern und Gegensätzen.

Da gibt es inneren Widerspruch, meine politische Position, meine kulturelle Hybridität und auch eine Zeitreise. Geboren bin ich in İstanbul, wo ich Nirvana, Miles Davis, viele psychedelische und Rock-n-Roll-Bands gehört habe, während zu Hause immer Zeki Müren, Müzeyyen Senar und Ruhi Su liefen. Als ich anfing, selbst Musik zu machen, mischte sich das zu einer neuen Identität, in der sowohl der Klang der Straßen İstanbuls, Anatoliens sowie die kosmischen Echos des Universums zusammenfließen.

„In einer Welt, in der es immer noch radikal ist, eine Frau oder man selbst zu sein oder einfach von einer anderen Welt zu träumen, wird Kunst zum Widerstand.“
Gaye Su Akyol

In deinen Texten und auch Performances transportierst du oft starke politische und soziale Botschaften. Betrachtest du Kunst als Form des Widerstands? Wie wichtig ist die politische Dimension für deine Musik?

Kunst war noch nie einfach nur Kunst. Das Wasser, das man trinkt und das Wasser, das man nicht trinken kann, der Körper, den man hat, gleiche Möglichkeiten und solche, die einem nicht zur Verfügung stehen ... Alles ist politisch. Selbst authentisch zu sein, ist ein Manifest gegenüber einer Welt, in der die Gesellschaft versucht, dich auf Mittelmäßigkeit zu beschränken.

In einer Welt, in der es immer noch radikal ist, eine Frau oder man selbst zu sein oder einfach von einer anderen Welt zu träumen, wird Kunst zum Widerstand. Ich trenne das Politische nicht vom Künstlerischen. Jeder Text, jeder Bühnenauftritt, jeder Ton, den ich schaffe, ist eine Stellungnahme – gegen das Vergessen, gegen das Schweigen, gegen Apathie.

Du sprichst oft von Freiheit und Selbstbestimmung. Welchen Einfluss hat deine Identität als Frau und Künstlerin in einer konservativen Gesellschaft auf deine Arbeit?

Wie gesagt, Frausein ist selbst bereits ein Politikum. Wenn du nicht nur existierst, sondern Gleichheit und Sichtbarkeit willst – auf der Bühne stehen, deine Geschichte auf eigene Weise erzählen – rüttelst du an den Grundpfeilern. Ich muss schon sagen, wenn man nicht gerade ein weißer Mann aus „westlichen“ Ländern ist, wird man in allen Gesellschaften der Welt diskriminiert. Anstatt das also an einzelnen Orten festzumachen, könnte man sagen, dass manche Gesellschaften das etwas professioneller vertuschen und ihre internalisierte Frauenfeindlichkeit besser verbergen.

Der Wunsch, meinen eigenen Weg zu wählen und frei zu leben, ist nicht nur persönlich; er gehört seit Tausenden von Jahren zu einem kollektiven Kampf. Dieser Wunsch durchdringt jeden Aspekt meiner Arbeit – die Worte, das, was man sieht, den Klang. Das macht mich sowohl kreativer als auch trotziger.

„Ich mache nicht nur Musik – ich versuche, meine eigene Mythologie zu schaffen.“
Gaye Su Akyol

Welche Künstler:innen haben dich am stärksten beeinflusst? Gibt es Menschen, die dich heute besonders inspirieren?

Mich inspirieren Menschen, die nicht nach Bestätigung suchen, die kreativ sind und nicht um Erlaubnis fragen, ob sie sie selbst sein dürfen. Und diese Inspiration ist nicht beschränkt auf Ikonen. Manchmal ist das ein Gedicht, ein eigenartiger Film, manchmal die Art, wie jemand Fremdes tanzt.

Am meisten begeistern mich aber alle, die die Mächtigen auf ihre Weise bekämpfen, all diejenigen, die dem folgen, woran sie glauben, die ihre Worte nicht abwägen, sich nie wiederholen, immer neu erfinden, bei jedem Album neu, mit jedem Kunstwerk neu, mit jeder Ära.

Visuelle Ästhetik spielt in deiner Arbeit eine große Rolle, von den Album-Covern bis zum Bühnenauftritt. Was bedeutet die visuelle Seite deiner Kunst für dich?

Für mich ist die Bühne nicht nur ein Konzert, sondern eher wie ein Universum. Kostüme, Licht, Bühnenbild, Videos – das gehört alles zur Geschichte dazu. Manchmal richtig punkig, manchmal sehr poetisch, je nach der Story des Konzerts oder Albums.

Mein Hirn funktioniert synästhetisch, und ich möchte, dass die Welt das auch spüren und erleben kann. Die Albumgestaltung, wie ich aussehe, die Symbole, die ich schaffe – das sind alles Fäden desselben Gewebes. Ich mache nicht nur Musik – ich versuche, meine eigene Mythologie zu schaffen.

„Ich bin mir bewusst, dass die Öffentlichkeit, die ich habe, nicht nur mir gehört. Ich stehe für Stimmen, die zum Schweigen gebracht wurden. Die wirkliche Gefahr wäre, überhaupt nichts zu sagen.“
Gaye Su Akyol

Siehst du dich in Zeiten politischer Spannung und kultureller Unterdrückung in der Verantwortung, mit deiner Kunst Position zu beziehen? Hat dich das je in Gefahr oder dazu gebracht, deine Botschaften zu überdenken?

Gefährlicher als Zensur ist das Schweigen.

Ja, ich habe es schon mit Bedrohungen, Zensur und Druck zu tun gehabt. Aber das bringt mich nicht zum Schweigen – es feuert mich an.

Ich bin mir bewusst, dass die Öffentlichkeit, die ich habe, nicht nur mir gehört. Ich stehe für Stimmen, die zum Schweigen gebracht wurden. Die wirkliche Gefahr wäre, überhaupt nichts zu sagen.

Was gibt dir gerade Hoffnung, musikalisch, politisch und persönlich? Und was treibt dich angesichts der Herausforderungen weiter an?

Für mich ist wahre Macht Folgendes: Menschen, die zu einer Authentizität finden, hörbar werden, kreativ und produktiv sein können, die sich mit Liebe begegnen und allein oder gemeinsam handeln können. Darin liegt Hoffnung verborgen.

Jedes Mal, wenn wir auftreten, verwandelt sich etwas – und wenn es auch nur ein Augenblick ist, ist es trotzdem eine winzige, wunderbare Revolution. Jedes Mal, wenn jemand einen Stein ins Meer wirft, finden diese Wellen zueinander.

Und wenn wir diese Revolution konsequent, leidenschaftlich und hartnäckig vorantreiben, wird aus der Vorstellung eine Realität. Dieser Glaube gibt mir die Kraft, weiterzumachen.

Termine und Tickets
August
Fr 29.8.2025
20 Uhr Konzert Gießhalle, Landschaftspark Duisburg-Nord

Autor: Deniz Bolat | 12.8.2025