ZWISCHENTAGE (DAYS IN BETWEEN)
Ruhrorter

About the project
From Adem Köstereli, Franziska Schneeberger, Jan Godde, Maximilian Brands, Wanja van Suntum
The 302 travels through Wattenscheid and Gelsenkirchen-Ückendorf every eight minutes. People stand crowded together in the tram as it drives along, close to the houses. What lies behind these surface appearances? In a polyphonic audio piece, comprehensive contexts of(in)visible mining damage and post-migrant realities in the Ruhr region can be experienced.
The audio performance with several interviews led from the Jahrhunderthalle in Bochum to the central station of Gelsenkirchen and vice versa. The tracks could be activated with the QR code on the advertising pillar at the respective starting point.
Language of the routes: German and English

Das letzte Lied des Kanarienvogels
(an den Ruhrpott, während seiner großen Flucht vor den Kohleminen)
Lina Atfah
Übersetzung: Osman Yousufi
Die Erde ist eine Schlange
die Häuser schwebende Sommersprossen
die Erde häutet sich und geht weiter
bevor sie uns Zeit für einen schnellen Abschied gibt
bevor wir den Ortszyklus verstehen
bevor die alten Bäume, die wir töteten,uns vergeben
und bevor wir einen Garten anlegen,
der das Gedächtnis vor seinem Untergang schützen kann.
Häuser treiben in der Leere auf dem Wasser
die Narben der Erde heilen nicht
die Narben, die wir furchten,
als wir einer Lust auf Zerstörung folgten
als wir das Metall genossen, während es auf die Erde fiel
und als wir tief nach unten gingen
egal wie blau der Himmel ist,
wird er nicht auf ein rußiges Fenster reflektieren
egal wie warm die Erde ist,
wird sie die Rose nicht vor dem Ersticken retten
egal ob aus Beton oder Karton sie sind,
werden die Häuser weder fliegen
noch dem wütenden Erdinneren nie standhalten.
Aus der Unterseite, die wir mal herausforderten
kocht ein alter Zorn von unten herüber
Wir versuchen, Frieden mit dem Ort zu schließen,
aber die Zeit wird weder die Flammen löschen
noch die Kohle in die Tiefe zurückschicken
Die Zeit ist ein schwerer Zeuge der Verluste
wir sind jedoch nicht gut darin aufzugeben.
die Zeche wurde zu einem Museum
die Metalltürme zu einem neuen Gesicht des Ortes
und wir kämpften, damit die Erde nicht zusammenbricht
Aber die Häuser verschwinden
In den tiefen Adern des Drecks liegt der Schreck
Die Zeit geht nicht zurück.
und ändert sich auch nicht,
selbst wenn wir ein neues Gedächtnis für Dinge schaffen
die Erde, die Kohle, den Schmutz und die Menschen
Aber was ist die Schuld der Kinder,
die das Wort »Mine« noch nicht buchstabieren können?
was ist die Schuld derjenigen, die dachten,
dass die Zeche eine Reise unter die Haut der Erde sei?
was ist die Schuld derjenigen,
deren Erbe Häuser war, die vom Abgrund verschluckt werden?
Wir fallen und können nichts tun,
außer das Nichts ein wenig zu verzögern
wir fallen aber können die Bergarbeiter dazu bringen,
nicht mehr zu graben
hier oder da
oder in einer Handvoll Erde, die leidet, während sie in die Tiefe geht
Wir können uns bei den Städten entschuldigen,
die wir auf tödlichen Wetten aufbauten
wir können erzählen
und die Zeche wird zu einem Museum für das, was wir begangen
und unsere Städte werden zu Städten,
die Kriege und fieberhaftes Graben überlebten
Aber irgendwo hören wir die Metallgeräusche
dann schließen wir die Ohren
ohne zu bemerken, dass der Kanarienvogel nicht mehr singt
ohne den Zorn der Erde zu sehen
den Zorn, der sich erweitern
aus einem tiefen Schach in Ferne bis zu sicheren Städten